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Trauerrede
Stufen
von Hermann Hesse
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Herrmann Hesses Gedicht „Stufen“ war eines von Annabells Lieblingsgedichten.
Annabell war Germanistin und konnte dieses und viele andere Gedichte auswendig rezitieren. Sie tat es oft, zuletzt am Frühstückstisch in unserem letzten Skiurlaub. Wir saßen, wie so oft, morgens zusammen und sprachen über das, was kommen würde, und über das, was wahrscheinlich kommen mag. Die Kinder schliefen noch und wir konnten offen und ungezwungen reden, über alles, auch über den Tod.
Und draußen war es bitterkalt.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Annabell wurde als jüngstes von drei Kindern in einem kleinen Dorf in Oberfranken geboren.
Sie war ein sehr eigenwilliges Kind, ein bisschen grüblerisch, beobachtend, etwas zurückhaltend, neugierig und sehr klug.
Sie hasste Ungerechtigkeiten und konnte sich in Themen verbeißen, wie ich es noch nie bei einem Menschen erlebt habe. Sie wollte den Dingen immer auf den Grund gehen.
Das zeigte sich nicht nur in ihren Leistungen auf dem Kunstrad, wo sie mit Mautesprung, Lenkerstand, Standrohrsteiger, Kehrsteuerrohrsteiger oder anderen äußerst waghalsigen akrobatischen Figuren zu unzähligen Meisterschaften fuhr und Preise mit nach Hause brachte.
Das zeigte sich auch in ihrer musikalischen Begabung: In jungen Jahren lernte sie die Trompete zu spielen und wann immer sie später ihr Instrument auspackte, um zum Beispiel im Advent oder zu Silvester über den Dächern der Hinterbrühl zu spielen, es musste immer perfekt sein.
Irgendwann fehlte ihr die Kraft dazu. An dem Tag, an dem sie von ihrem Krebsrezidiv erfuhr, kaufte sie sich kurzerhand ein schneeweißes Klavier. Sie saß nun stundenlang da und spielte. Es war ein lang gehegter Wunsch, den sie sich damit erfüllte, und ich hätte nie gedacht, dass ich sie noch einmal so glücklich erleben würde. Zum vorletzten Silvester hat sie noch einmal die Trompete ausgepackt und auch wenn es sie die letzte Kraft gekostet hat, hat sie ihr Lied zu Ende gespielt. Sie hat es zu Ende gespielt.
Annabell besuchte nach der Volksschule das Gymnasium in Marktheidenfeld. In der Oberstufe sollte sie ein Referat schreiben über das Buch mit dem provokanten Titel:
„Hitler lieben“ von Peter Roos, einem Schriftsteller aus ihrer Heimat. Das Buch beschäftigt sich mit der Frage, ob ihre Heimat wirklich so nazifrei war, wie viele dachten, glaubten oder auch nur hofften. Eine Frage, die uns heute überall mehr denn je interessieren dürfte.
Der normale Oberstufenschüler hätte nun das Buch zur Hälfte, von mir aus auch zu drei Vierteln gelesen, um einen eher lieblosen Aufsatz darüber zu schreiben. So hätte ich es jedenfalls gemacht. Aber Annabell war ganz anders: Entweder sie tat etwas nicht, oder sie tat es ganz! Sie vertiefte sich in das Thema, las alles darüber, was sie finden konnte, und nahm nach einigen Anlaufschwierigkeiten sogar persönlichen Kontakt mit dem Autor des Buches auf. So erfuhr sie alles über die sogenannte nazifreie Stadt Marktheidenfeld. Natürlich bekam sie für ihre Arbeit die Bestnote.
Als ihr Direktor sie wenig später etwas lieblos und überheblich zur Teilnahme am Tag der Menschenrechte in der Stadt Marktheidenfeld in die Schulaula drängen wollte und sie zur Bekräftigung seiner Forderung etwas zu unfreundlich am Arm packte, sollte er wenig später erfahren, dass man das mit Annabell besser nicht macht.
Lieblosigkeit und Arroganz, zwei Eigenschaften, die Annabell überhaupt nicht mochte.
Ein Leserbrief an die Lokalredaktion der „Main Post“ war der nächste Schritt und nur der Auftakt.
„Da wird am Tag der Menschenrechte die gesamte Schülerschaft des Marktheidenfelder Gymnasiums in die Aula getrieben und akribisch beobachtet, damit bloß keiner wegläuft.
Und Grandl!
dessen Bild immer noch in unserer Bibliothek hängt und für dessen Abhängung sich niemand einsetzt, ist immer noch Ehrenbürger der Stadt und damit der Schule, die sich so massiv für die Menschenrechte einsetzt.“
So schrieb sie.
Und so wurde es gedruckt.
Hermann Grandl war Hitlers Lieblingslandschaftsmaler und einer der vier führenden Maler des NS-Regimes.
Dass der äußerst ungeschickte Direktor seine Doktorarbeit ausgerechnet über die Außenpolitik Adolf Hitlers geschrieben hatte, war Annabell natürlich ebenfalls nicht entgangen. Sie hat seine Dissertation recherchiert und gelesen und natürlich auch den einen oder anderen Kommentar dazu abgegeben, wie man sich denken kann.
Wohlgemerkt, das alles tat sie kurz vor der Matura! In einer Zeit, in der jeder vernünftige Schüler die Klappe hält, nicht auffällt und sich schon gar nicht mit dem Direktor anlegt. Aber so „vernünftig“ war Annabell eben nicht und wollte es auch gar nicht sein. Das Abitur hat sie natürlich trotzdem bestanden. Mit Auszeichnung.
Diese unerschrockene Zielstrebigkeit hat sich Annabell gerade jetzt von so vielen gewünscht – jetzt, wo der Wertekompass selbst von sehr einflussreichen Menschen verstellt scheint.
Drei Dinge haben sich aus dieser kleinen Geschichte für ihr Leben entwickelt:
Erstens begann sie zu schreiben, zunächst für die „Main Post“, die ihren Leserbrief abgedruckt hatte, später für „Die Zeit“, „Der Standard“, „Die Presse“ und viele andere renommierte Zeitungen.
Zweitens hat Annabell von da an nicht mehr aufgehört, ihre Meinung zu sagen. Vor allem gerne auch ungefragt. Sie recherchierte mit großer Freude Zusammenhänge und legte sie offen. Sie hatte, wie Artur Schopenhauer, ein sehr starkes Verhältnis zur Wahrheit. Klarheit vor Harmonie war fortan ihre Devise.
Und drittens lernte sie Peter Roos’ Lebensgefährtin Friederike Hassauer kennen, die Professorin an der Universität Wien war.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen, (…)
Die Heimat wurde Annabell bald zu klein, zu starr und zu eng, und so begann sie in Wien zu studieren, weit weg von ihren Eltern.
Der Anfang in der Großstadt war schwer, aber der Zauber, der dort herrschte, war für sie unbeschreiblich und großartig, und sie suchte und probierte sich aus, wie es junge Menschen immer tun sollten, um authentisch “ich“ zu werden.
Sie tat, was sie wollte, unbeeindruckt davon, was andere darüber dachten oder sagten, unbeeindruckt von Normen und Gepflogenheiten. Und als Spencer Tunick eines seiner Fotos mit hunderten nackten Menschen in der Wiener Innenstadt schoss, war Annabell natürlich mit dabei. Die Leute in ihrem Heimatort, erzkonservativ und katholisch, wären wahrscheinlich entsetzt gewesen. Das interessierte sie nicht, sie kämpfte sich frei. Zumindest versuchte sie es Zeit ihres Lebens mit aller Kraft.
Annabell ist früh aus der katholischen Kirche ausgetreten – zu viele Ungereimtheiten, zu wenig Klarheit vor Harmonie. Aber ich habe sie nie eine Kirche betreten sehen, ohne sich mit Weihwasser zu benetzen, sich zu verbeugen und zu bekreuzigen. Sie war im Grunde ihres Herzens ein sehr gläubiger Mensch. Nur mit der Institution hatte sie, wie so viele, ein Problem. Sie ist oft und gerne in diese Kirche gegangen. Und das ist auch der Grund, warum wir hier ihr Leben feiern.
Das erste Mal am Wiener Westbahnhof: Annabell war gerade mit dem Zug angekommen, wahrscheinlich aus Würzburg, und steuerte eine der Telefonzellen an. Während sie telefonierte, baute sich vor der Telefonzelle ein großer, blader Wiener auf. In der Hand ein 16er Blech (Für die Nicht-Wiener unter uns: Das ist eine Dose Ottakringer Bier). Er stand ruhig da und als sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich das Telefonat beendet hatte und die Tür öffnete, um das Telefonhäuschen zu verlassen, beugte er sich zu ihr herunter. Nicht sehr aufdringlich oder beängstigend, sondern eigentlich sehr freundlich. Und er sagte: „Na, warum telefonier‘s denn so lang, sans verliabt?“
Ja, sie war verliebt – in ihre neue Stadt, in ihr neues Leben.
Wenn Annabell diese kleine Anekdote erzählte, schüttelte sie sich immer vor Lachen. Ihr ehrliches, lautes und sehr ansteckendes Lachen, das ich in letzter Zeit viel zu selten gehört habe und das mir und wohl allen, die sie gut kannten, so sehr fehlt.
Ja, sie hat sich durchgebissen, es gab kein Zurück! Und sie genoss ihre Freiheit fern der fränkischen Heimat, die den Begriff Heimat schnell verlor. Sie saugte Wien in sich auf, in einer Studentenbude mit einer Kommilitonin als Zimmergenossin; mehr war damals finanziell nicht möglich.
Und weil das alles noch nicht genug war, begann sie nach ein paar Semestern in Wien ein Parallelstudium an der Sorbonne Université in Paris. Paris war teuer, das Geld knapp, und so brachte sie, kaum erwachsen, Pariser Eliteschülern die deutsche Sprache bei. Der Sohn des ehemaligen französischen Präsidenten Sarkozy war einer ihrer Schüler. Um sich bei diesen Burschen Gehör zu verschaffen, hatte sie ein Erfolgsrezept: Sie brachte ihnen deutsche Schimpfwörter bei, die Jungs brachten ihr im Gegenzug französische Schimpfwörter bei.
Dass sie es schaffte, auch von diesen Schülern respektiert, ja sogar gemocht zu werden, erfüllte sie mit großem Stolz!
Und so konnte sie auch dieses zweite Studium mit großem Erfolg abschließen.
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Nachdem sie schon während ihres Studiums in Wien begonnen hatte, die Computer der Romanistikfakultät zu reparieren, führte sie ihr erster Job nach dem Studium nur ein paar Häuser von ihrer Alma Mater entfernt zum Zentralen Informatikdienst der Universität Wien.
Das Vorstellungsgespräch war kurz und eine reine Formsache. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, womit sie mehr überzeugen konnte: mit ihrer Expertise zum Thema E-Learning, die ihr später ein weitreichendes internationales Netzwerk bescherte, das sie als ausgewiesene Spezialistin auf diesem Gebiet kannte und schätzte. Oder die Tatsache, dass sie mit Jonglierkeulen auf einem Einrad durch die Gänge der Universität fuhr und den Leuten an der Universität das Einradfahren beibrachte.
Sie fuhr mit dem Einrad durch die Gänge der Universität Wien, der größten und ältesten deutschsprachigen Universität. Und es war ihr egal, was die Leute dachten. Sie hat sie im höchsten Maße liebevoll verstört.
Ein Foto zeigt sie mit dem damaligen Vizerektor Mettinger im Hörsaal. Er sitzt auf einem Einrad und strahlt fröhlich und stolz in die Kamera. In einem Hörsaal wohlgemerkt. Sie steht grinsend daneben und hat ihn offensichtlich dazu angestiftet.
Kurz bevor sie dreißig wird, lernen wir uns an der Universität Wien kennen. Wir verlieben uns Hals über Kopf. So kitschig das klingt, es war Liebe auf den ersten Blick, auch wenn wir von Anfang bis zum Ende nie einer Kontroverse aus dem Weg gegangen sind. Ein paar von euch, die oft mit uns zusammen waren, können ein Lied davon singen. Unbeschreiblich und raumgreifend in jeder Hinsicht. Klarheit vor Harmonie eben.
Mit ihrem Partner in einer Institution auf unterschiedlichen Hierarchieebenen zu arbeiten, das wollte sie nicht. Und so bewarb sich Annabell schließlich nach fast zehn Jahren an der Uni bei einer amerikanischen Beratungsfirma für E-Learning. Aufgrund ihrer Bekanntheit auf dem Markt wurde sie mit Kusshand eingestellt. Natürlich erzählte sie mir erst davon, als der Vertrag schon unterschrieben und die Tinte trocken war.
Und so reiste sie fortan für ihr neues Unternehmen um die Welt. Skandinavien, Deutschland, England, USA, Australien. Und da sie ja neben Deutsch und Englisch auch Französisch perfekt beherrschte, war sie auch für Frankreich und die französischsprachigen Teile des afrikanischen Kontinents zuständig. Kurzum, sie bereiste die Welt von Helsinki bis Sydney und sie liebte und genoss es.
Auch wenn es sie in die großen Städte zog, nach Wien oder Paris, nach London, Madrid, Mombasa, Orlando oder Miami. So richtig wohl fühlte sie sich wieder in einem kleinen Dorf, in der Hinterbrühl – ähnlich groß wie Esselbach, aus dem sie stammte.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Mit der Geburt unseres Sohnes Mikka änderte sich alles in ihrem Leben. Ich durfte eine Seite von Annabell kennenlernen, die ich nicht kannte und die ich in dieser Intensität auch wirklich nicht vermutet hätte. Die der bedingungslosen Mutter.
Auch und gerade nach der Geburt unserer Tochter Anthea, die sie in unserem Haus zur Welt brachte, wurden diese beiden Menschen zum unerschütterlichen Mittelpunkt ihres Lebens.
Ich glaube, nichts hat Annabell in ihrem Leben mehr bewegt als die Existenz unserer beiden Kinder. Und nichts hat sie am Ende mehr beunruhigt als die Frage, wie es ihren Kindern gehen wird, wenn sie nicht mehr da sein würde.
Mit Kenenisa, Naledi und Sabine, mit Mikka, Anthea und mir hat sie eine Patchworkfamilie gegründet, die diesen Namen wirklich verdient. Jeder Geburtstag, jedes Weihnachten und auch jeder Schicksalsschlag wurden gemeinsam begangen. Und so sitzt heute die ganze Familie hier und trauert, gemeinsam.
Es war eine Entwicklung, die nicht immer einfach war, aber es ist eine starke Gemeinschaft geworden, voller Respekt, Vertrauen und ehrlicher Zuneigung. Und auch dafür bin ich ihr und allen Beteiligten unendlich dankbar.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Ja, das ist wahrlich der schwierigste Teil – nicht nur des Gedichts ...
Annabell hat viele Menschen in ihren Bann gezogen.
Sie hat leidenschaftlich geliebt, leidenschaftlich gestritten, leidenschaftlich geholfen und unterstützt. Was sie tat, war leidenschaftlich. Wenn sie jemanden in ihr Herz geschlossen hatte, dann spürte er das.
Sie hat sich kompromisslos für Menschen eingesetzt, und viele Menschen haben sich kompromisslos für sie eingesetzt. Viele Menschen haben ihr geholfen, als sie krank war. Manche haben fast jeden Tag für sie gekocht und ihr das Essen gebracht wie die Familie Papesch. Oder sie waren da, wann immer sie gebraucht wurden, beispiellos.
An dieser Stelle möchte ich ganz besonders unsere Freundin Lisi hervorheben, die sich viele Tage und Nächte gemeinsam mit mir um Annabell gekümmert hat.
Viele andere ... taten das nicht, wandten sich lieber ab oder waren nicht mehr ansprechbar. Ich habe das nicht verstanden. Aber das ist eine andere Geschichte.
Nicht zuletzt hat sich Annabell bedingungslos für unseren ukrainischen Besuch eingesetzt, mit dem wir 6 Monate in unserem Haus unter einem Dach gelebt haben.
Und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie viele Menschen, die sie kennenlernen durften, unberührt gelassen hat. Mich jedenfalls hat sie bei unserer ersten Begegnung leidenschaftlich gepackt und nie mehr losgelassen.
Dein Leben war viel Kampf, vielleicht zu viel, bis zuletzt. Du hast dich aufgeopfert, bist keiner Kontroverse aus dem Weg gegangen. Wer dich zum Freund hatte, hatte einen wahren Schatz.
Für Annabell waren die letzten Monate sehr, sehr schwer. Auch für ihre Umgebung war es nicht immer einfach. Manchmal war sie sehr wütend. Wütend über diese schreiende Ungerechtigkeit, so früh zu erkranken, wo sie doch immer so gesund gelebt hat. Wer will es ihr verübeln?
Aber meistens hat sie selbst nach der niederschmetterndsten Nachricht nach kurzer Zeit ihre gute Laune und ihre Gelassenheit wiedergefunden. Und von diesen schlechten Nachrichten gab es leider sehr, sehr viele. Ich habe mich die ganze Zeit, die ganzen 3 Jahre gefragt, woher sie diese Kraft und diese Zuversicht nimmt. Es gab keine oder kaum positive Signale, aber sie hat immer etwas Positives daraus gezogen. Ich weiß nicht, wie sie das gemacht hat, aber es hat mich tief beeindruckt und mir ganz klar gezeigt, dass es immer besser ist, sich zu engagieren, als die Dinge einfach geschehen zu lassen.
So wie sie ihr Leben anging, ging sie auch mit ihrer Krankheit um. Sie las wirklich alle – jede Fachzeitschrift, jede Studie im In- und Ausland, jeden alternativmedizinischen Ansatz. Ja, sie freute sich auf die Fachgespräche mit ihren Ärzten. Und egal wie niederschmetternd die Wahrheit war, sie wollte sie genau wissen. Klarheit vor Harmonie eben.
Ob die Ärzte sich auch auf das Fachsimpeln mit ihr gefreut haben oder ob die Ordinationstermine mit ihr nicht manchmal auch zu einer Art Prüfungssituation wurden, das weiß ich natürlich nicht. Aber manchmal kam sie vom Ordinationstermin oder vom Klinikaufenthalt nach Hause und sagte: „Stell dir vor, der kannte die neue Studie aus Japan nicht. Aber ich habe sie ihm jetzt geschickt. Und das nächste Mal können wir darüber reden.“
Auf diese Weise war sie weltweit mit vielen Wissenschaftlern in Kontakt, die auf dem Gebiet des Eierstockkrebses forschten und eine Studie zu diesem Thema durchführten. Sie bewarb sich für jede Studie, ob in Japan, in den USA, in Belgien, in Großbritannien oder in Italien. Das Wort „aufgeben“ gab es für sie nicht. Sie wollte leben und setzte sich kompromisslos für dieses Ziel ein.
Dann, nach inzwischen einer minimalinvasiven Operation, einer Totaloperation, 18 Hochdosis-Chemotherapien, 5 verschiedenen Chemotherapeutika, 3 verschiedenen Checkpoint-Inhibitoren, vieles davon off-label, unzähligen Diäten, Fiebertherapien, Wärmebettanwendungen und vielem, vielem mehr – also nach fast drei Jahren erbittertem Kampf gegen ihre Krankheit – musste sie schließlich kapitulieren.
Ihre helle Kerze ist erloschen und obwohl ich es schon lange geahnt habe, obwohl ich mich schon lange darauf vorbereiten konnte, hat es mich am Ende doch aus dem Gleichgewicht gebracht.
Wo auch immer du jetzt bist, ich wünsche dir einen klaren Blick auf das Meer, das du spät kennen und lieben gelernt hast. Ich wünsche dir viele Wege, auf denen du wunderbar laufen und wandern gehen kannst. Ich wünsche dir Berge mit herrlichem Schnee, der dich auf den Skiern hinunterträgt. Ich wünsche dir Arme, die dich umarmen und stützen. Und einen klaren Blick auf deine Kinder, auf die du so stolz bist. Zu Recht.
Kleines Männchen,
ich danke dir von ganzem Herzen
für diese besondere Zeit
mit dir.
Ich liebe dich.
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